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Teil III: Effektive Kommunikation - Eine Annäherung

Wie im ersten Teil (Was ist Kommunikation?) gezeigt, ist Kommunikation allgegenwärtig und störungsanfällig (Kommunikationsstörungen). Im Freundeskreis, in der Familie, in Unternehmen, in Trainer-, Sport- oder Forschungsteams, also dort, wo Menschen regelmäßig ‚miteinander umgehen‘, wo sie sich immer wieder treffen. Dort, wo Menschen zusammen den Alltag gestalten, gemeinsam Ziele verfolgen, miteinander spielen, trainieren, arbeiten und experimentieren, kommt Kommunikation eine besondere Rolle zu. Sie ist ein zentrales Element für ein ‚erfolgreiches‘ Miteinander. Sei erfolgreich nun eine Produktivitätssteigerung in einem Arbeitsteam, größerer sportlicher Erfolg einer Mannschaft, ein unterhaltsamer und streitfreier Spieleabend unter Freunden oder ein glückliches Miteinander in der Familie. Kommunikation muss also je nach Angelegenheit lösungs- und/oder ergebnisorientiert und zugleich beziehungswahrend oder -fördernd sein 1,2. Kurz, es geht um effektive Kommunikation.

Wann ist Kommunikation effektiv?

Die Frage ist allerdings, wann Kommunikation effektiv ist? Wann ist sie zugleich beziehungswahrend und lösungs-/ergebnisorientiert?

Wir könnten das in etwa so beantworten: Wenn die verbalen, non- und paraverbalen Signale und Zeichen kongruent sind (sie das gleiche aussagen). Wenn das, was wir sagen und wie wir es sagen in Einklang mit den situativen Umständen und ausgerichtet an den Anforderungen des Kontextes sind. Wenn wir den Kanal (von Angesicht zu Angesicht, Telefon, E-Mail, Textnachricht etc.) angemessen gewählt haben und – das wird meiner Erfahrung nach häufig unterschätzt – wenn wir als ‚Teilnehmer‘ am Kommunikationsprozess in der Lage sind, sowohl die Position des Senders, als auch die des Empfängers einzunehmen (siehe Teil II). Wir müssen die Anforderungen an beide Rollen adäquat erfüllen. So hilfreich eine gute Rhetorik sowie Sprech- und Schreibtraining sein mögen, wenn wir nicht wirklich miteinander reden – sondern nur zueinander – und einander zuhören, wird Kommunikation weder beziehungswahrend noch lösungs-/ergebnisorientiert. Wir müssen uns also gegenseitig verstehen um erfolgreich zu kommunizieren.

Da der Gesprächskontext für das gegenseitige Verstehen elementar ist3, gibt es das von vielen erhoffte Patentrezept im Sinne eines „was muss ich wie sagen, damit mich alle verstehen und auf mich hören“, nicht. Uns behelfen können wir trotzdem. Wenn uns klar wird, dass es bei der Frage, wie wir unsere Kommunikation effektiv gestalten, in erster Linie um Haltungen und nicht um bestimmtes Verhalten oder gar Formulierungen geht4. Es geht darum, „die adäquate Kommunikation aus dem Charakter der gesamten Situation abzuleiten“5. Das gilt sowohl für das Senden als auch das Empfangen von Nachrichten.

Der Kontext von Kommunikation

Wir können uns da behelfen, wenn wir Kommunikation etwas weniger individualistisch betrachten. Wir richten den Blick nicht ‚nur‘ auf uns selbst oder ‚nur‘ auf den oder die anderen. Das bedeutet nicht, dass das Individuum nicht zählt oder nicht wichtig ist. Natürlich ist für den Kommunikationsprozess die persönliche Ebene der Gefühle, Gedanken und Handlungen wichtig. Diese zu kennen und zu erkennen (ggf. beim anderen zu erfragen) ist zentral (Stichpunkt: Achtsamkeit, Selbsterkundung und aktives Zuhören). Fokussiere ich mich aber nur auf diese (oder nur auf die der anderen), geht ein großer Teil der Essenz der Kommunikation an uns vorbei.

Höre ich beispielsweise den Satz „Die Ärztin hat die ganze Zeit Befehle und Anweisungen gegeben“, wäre eine mögliche individualistische Betrachtung: Sie ist nicht freundlich und geht nicht gut mit ihren Mitmenschen um. Sie kann nicht effektiv kommunizieren. Wir könnten aber auch fragen: „Was war da eigentlich los? Was war in der Situation angebracht?“ Vielleicht war es eine Not-OP, es musste schnell gehen und die leitende Ärztin hat ihr OP-Team auf diese Weise effektiv (und hoffentlich erfolgreich) durch die OP geführt. Es war wohlmöglich (oder sehr wahrscheinlich) ein eingespieltes OP-Team, die Leute kennen sich und vertrauen einander. In dieser Situation hat die Ärztin angemessen und effektiv kommuniziert. Weil sich alle kennen, sie eingespielt sind und wissen, dass brenzliche Situationen schnelles Handeln erfordern und sie einander vertrauen, war diese Kommunikation ergebnisorientiert und beziehungswahrend. Vielleicht hat sie sich ja hinterher auch noch für die gute Zusammenarbeit bedankt.

War es andererseits ein Auftakt einer eher ruhigen Schicht auf Station im Krankenhaus, in dem Aufgaben, Zuständigkeiten, Probleme und neue Ideen besprochen werden, wäre solch ein Vorgehen nicht effektiv. Dort ist Zeit, die Teammitglieder können aufeinander eingehen, Lob und Kritik kann (oder oft eher: könnte) ausgesprochen und gehört werden, Fehler können thematisiert und korrigiert werden, auf Erfolgen kann aufgebaut werden, die Schicht geplant werden etc. Hier ist neben der sachlichen Aufgabenverteilung (Appellebene) und dem Informationsaustausch (Sachebene) auch Raum für das Zwischenmenschliche, für die Beziehungs- und Selbstoffenbarungsebene. Hier wird das Vertrauen aufgebaut und das Team eingespielt, dass dann in einer Situation, in der es schnell gehen muss, wie eine geölte Maschine funktioniert.

Dieses Beispiel zeigt, wie abhängig effektive Kommunikation trotz aller Sprach(un)gewandtheit der Beteiligten von den situativen Umständen und sozialen Gegebenheiten ist.

Die Definition der Situation

Jede Situation in der wir sind (und wir sind immer in irgendeiner Situation), bietet uns einen gewissen Handlungsrahmen. Wir nehmen also physische Merkmale, Aussagen und Handlungen anderer, Symbole, Zeichen, kulturelle und strukturelle Gegebenheiten etc. der Situation wahr (oder manche auch nicht) und verarbeiten diese bewusst oder unbewusst – meist sicher eher letzteres. Wir definieren also die Situation und grenzen sie somit von anderen Situationen ab. Oft geht das automatisch-spontan und unbewusst, da wir mit vielen Situationen des Alltags, auf der Arbeit oder in der Freizeit schon reichlich Erfahrung haben. Wir haben typische ‚Modelle‘ von Situationen bereits in unserem Gehirn abgespeichert. Bei neuen Erfahrungen oder deutlich vom ‚Standard‘ abweichenden Situationen müssen wir ggf. doch in den Reflexionsmodus wechseln und uns aktiv fragen „Was geht hier eigentlich vor?“

Diese definierte Situation, der sogenannte Frame (Rahmen), gibt uns dann Hinweise zur Antwort auf die Anschlussfrage: Welches Verhalten ist für diese Situation angebracht, sinnvoll, zielführend oder sozial erwartet? Auch hier können wir ganz automatisch und unbewusst entscheiden, z.B. wenn es Gewohnheiten, Routinen, Normen oder Instinkte gibt, die zu unserem Frame passen. Wir können sie aber auch überdenken, z.B. wenn uns die Situation unbekannt vorkommt (und wir entsprechend Zeit und Lust haben) oder wenn die Situation mehrere zunächst gleichwertige Optionen nahelegt: „Ich habe zwar gelernt, das Eigenlob stinkt, aber gleichzeitig den Eindruck, dass ich jetzt durchaus sagen sollte, dass ich stolz bin und viel geleistet habe. Was mach ich nur?“

Basierend auf diesen ersten beiden Schritten folgt dann die Auswahl der eigentlichen (Kommunikations-)Handlung. Haben wir Routinen, Gewohnheiten oder verinnerlichte/akzeptierte Normen und passen diese zu unserer bisherigen Vorauswahl, wird dementsprechend gehandelt. Ebenso geschieht die Handlungsauswahl automatisch, wenn Emotionen oder Instinkte die Kontrolle übernehmen und bestimmtes Handeln vorgeben. Bei komplexeren Situationen und wichtigen Angelegenheiten kann aber auch an dieser Stelle die im vorherigen Schritt ‚vorgeschlagene‘ Handlung überdacht und reflektiert werden. Wieder vorausgesetzt, es besteht Reflexionszeit und -möglichkeit und der Akteur hat ein ausreichendes Maß an Motivation zur Reflexion.

Diese Beschreibung einer situativen Handlungsauswahl fasst stark verkürzt die von Esser und später von Esser und Kroneberg herausgearbeitete integrative Handlungstheorie ‚Modell der Frame-Selektion‘ zusammen6,7. Für mich gibt die Theorie einen guten Rahmen zur Analyse einer Kommunikationssituation. Eben weil sie integrativ ist, lässt sie sich gut mit spezifischeren Ansätzen zur Erklärung bestimmter (Kommunikations-)Handlungen verbinden.

Jetzt bedenken wir, dass diesen Prozess jede an der Situation beteiligte Person durchläuft. D. h., die Situation definiert, passende Handlungsoptionen sondiert und sich schließlich für eine Handlung entscheidet. Das macht es kompliziert, denn auch wenn ‚objektiv‘ die Gegebenheiten für alle die gleichen sein mögen, werden diese subjektiv interpretiert. Dementsprechend ist auch die Definition der Situation, die Sondierung der Handlungsoptionen und die Handlungsauswahl subjektiv. Jede:r Teilnehmer:in bringt also ihre oder seine Persönlichkeit, Sozialisation, Erfahrungen sowie typische Denk- und Handlungsweisen mit in die Situation ein; und macht sie somit zu Teil der Situation und des Kommunikationskontextes.

Gehen wir offenen und achtsamen Auges und Ohres durch die Welt, wenn wir mit unseren Mitarbeitern und Mitarbeiterinneninnen, Teammitgliedern, unserer Mannschaft oder Arbeitsgruppe zusammenkommen, haben wir schon einen großen Schritt getan. Entwickeln wir dann noch ein Gefühl für die Kommunikationsanforderungen der verschiedenen Umfelder (Stichpunkte: Kultur und Struktur, siehe Teil I), in denen wir uns bewegen (z.B. Familie, Freundeskreis, Arbeitskollegen/-innen, Sportverein) und der verschiedenen Situationen, die es dort gibt (Mittagessen, Planungsmeeting, Notsituation, Training, Spiel am Wochenende etc.), bringen wir nicht nur die Effektivität unserer Kommunikation auf ein neues Level, sondern steigern auch die Qualität unserer Beziehungen.

Eine Übung

Als kleine Aufgabe schlage ich daher vor, sich zwei bis vier vergangene Situationen beispielsweise aus dem Arbeitsalltag vorzunehmen und sie anhand des beschriebenen Schemas gedanklich noch einmal durchzugehen. Wählen Sie zunächst eher einfachere Situationen, evtl. welche wo alles glatt gegangen ist. Steigern Sie dann die Komplexität. Insbesondere bei problematischen Situationen, in denen die Kommunikation nicht so rund lief, können Sie die Situation nachdem Sie sie einmal gedanklich durchgegangen sind, so abändern, wie sie Ihres Erachtens hätte besser laufen können. Was Sie hätten anders machen können? Orientieren Sie sich beispielhaft an den folgenden Fragen:

  1. Was für eine Situation lag vor?
    • Was waren die Merkmale (physische Gegebenheiten, Handlungen anderer, Aussagen, Regeln, Normen, strukturelle und kulturelle Umstände etc.), an denen ich das festgemacht habe?
    • War die Situation sofort klar für mich und die Art Situation bekannt oder war sie unbekannt bzw. eine neue Erfahrung?
  2. Welche Handlungen sind angemessen, passend, zielführend und/oder sozial erwünscht?
    • Wie bin ich darauf gekommen?
    • Habe ich reichlich Erfahrung mit derartigen Situationen und wusste ohne nachzudenken was zu tun ist?
  3. Wie habe ich schließlich gehandelt?
    • War es eine automatisch-spontane Handlung oder habe ich reflektiert?
    • Wusste ich genau was zu tun war oder habe ich mich an anderen orientiert?
    • Habe ich mich eher lösungs-, ergebnis- oder zielorientiert entschieden oder bin ich dem was sozial erwünscht ist gefolgt (vielleicht war ja beides auch im Einklang)?
  4. Wie sah das Ergebnis meiner Handlung aus?
    • Welche Auswirkung hatte es auf den Fortgang der Situation ?
    • Wie haben wiederum die Anderen darauf reagiert?

Um uns dem Thema miteinander reden, einander zuhören, sich verstehen und eben effektiv zu kommunizieren, weiter anzunähern, empfehle ich es, die vier gerade beschriebenen Schritte auch mal aus Perspektive der anderen Teilnehmer zu durchleuchten. Versetzen Sie sich mal in diese rein (also sehr ähnlich dem zirkulären Fragen aus der systemischen Beratung).

Natürlich können Sie sich an dem Schema auch orientieren, wenn Sie beispielsweise ein misslungenes Meeting gemeinsam aufarbeiten und Dinge wie etwa Störaktivitäten analysieren (siehe Teil II).

Bedenken Sie, dass diese Herangehensweise natürlich nur eins von vielen Hilfsmitteln ist, die Sie ein Stück näher an effektive und gelingende Kommunikation heranbringen kann und kein Allheilmittel.

Ich wünsche viel Spaß beim Ausprobieren und beim Kommunizieren.

Literatur

  1. Rosner, S. & Winheller, A. Gelingende Kommunikation – revisited. Ein Leitfaden für partnerorientierte Gesprächsführung, professionelle Verhandlungsführung und lösungsfokussierte Konfliktbearbeitung. (Rainer Hampp, 2019).
  2. Thompson, N. Effective Communication: A Guide for the People Professions. (Macmillan International higher education, 2018).
  3. Maiwald, K.-O. & Sürig, I. Mikrosoziologie. Eine Einführung. (Springer VS, 2018).
  4. Schulz von Thun, F. Miteinander reden 1: Störungen und Klärungen: Allgemeine Psychologie der Kommunikation. (Rowohlt-Taschenbuch-Verlag, 2019).
  5. Schulz von Thun, F. Miteinander reden: 2. Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung. Differenzielle Psychologie der Kommunikation. (Rowohlt-Taschenbuch-Verlag, 2019).
  6. Esser, H. Rationalität und Bindung : Das Modell der Frame-Selektion und die Erklärung des normativen Handelns. (2005).
  7. Esser, H. & Kroneberg, C. Das Modell der Frame-Selektion. in Rational Choice (ed. Tutić, A.) vol. 1 308–324 (De Gruyter, 2020).

Ein Gedanke zu „Effektive Kommunikation“

  1. Pingback: Judo und Organisationsentwicklung Teil II

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