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Teil II: Kommunikationsstörungen - eine Annäherung

Im ersten Teil dieser Serie (Was ist Kommunikation?) haben wir bereits angeschnitten – und natürlich weiß das jeder aus eigener Erfahrung –, dass Kommunikation nicht immer so gelingt, wie wir uns das gedacht haben. Es gibt zahlreiche Faktoren, die dazu führen, dass eine Nachricht nicht so beim Empfänger ankommt, wie geplant. Es gibt also Kommunikationsstörungen zwischen Sender und Empfänger, ganz zu schweigen, wenn es mehrere Empfänger gleichzeitig sind. Oder noch ‚schlimmer‘, mehrere Sender gleichzeitig. Genau wie Kommunikation an sich, finden diese Störungen auf verschiedenen Ebenen statt. Auch sie können ihre Hauptursache auf der persönlichen, kulturellen oder strukturellen Ebene haben, finden aber auf allen dreien statt. Zudem können Störungen auf allen vier Seiten einer Nachricht (Sach-, Beziehungs-, Appell- und Selbstoffenbarungsseite) vorkommen. Fangen wir mit ein paar Beispielen an.

Fallstricke in der Kommunikation

Mein bester Freund geht einkaufen. Ich bitte ihn, mir eine Cola der Marke X mitzubringen. Ich verspreche mich aber und meine eigentlich Y. Die Ursache liegt in erster Linie auf der persönlichen Ebene – ich habe die falsche Information auf Sachebene vermittelt.

Sitze ich hingegen in Köln im Brauhaus und bestelle einen ‚Halven Hahn‘ in der Erwartung, dass ich ein halbes Hähnchen bekomme, wurde ich von den kulturellen Gegebenheiten ausgetrickst. Ich bekomme nämlich zwei dicke Scheiben mittelalten Goudas auf einem halben Röggelchen (Roggenbrötchen). Ich habe auf der Sachebene eine unpassende Information vermittelt, bin aber vielleicht gleichzeitig davon ausgegangen, dass der ‚Einheimische‘ mich als Tourist auf typische Irrtümer hinweisen wird und habe auf der Selbstoffenbarungsseite vermittelt, dass ich schon weiß, was ich will.

Habe ich als Angestellter aber gar nicht die Möglichkeit, mit dem Firmenchef zu sprechen, weil es bürokratisch-hierarchisch (strukturell) vorgegebene Berichtswege gibt, geht möglicherweise auf dem Weg von ‚unten‘ nach ‚oben‘ eine ganze Reihe an Inhalt verloren. Die gesendete und empfangene Nachricht klaffen weit auseinander. Selbst dann, wenn der Sender sein Anliegen so klar und deutlich unter Beachtung aller vier Seiten der Nachricht formuliert hat.

In allen drei Fällen entsteht eine Kommunikationsstörung – die Kommunikation ist nicht effektiv. Ich bekomme die falsche Cola, kein halbes Hähnchen und ‚die da oben‘ verstehen nicht, was ich möchte. Das kann sich zudem auf die Beziehung auswirken. Vielleicht diskutieren wir im ersten Fall, ob ich mich falsch ausgedrückt habe oder mein Kumpel mir nicht richtig zugehört hat. Je nachdem, wie wir solche Dinge üblicherweise handhaben. Hätte ein aufmerksamer Freund nicht auf der Appell- und Selbstoffenbarungsseite herauslesen können, dass ich eigentlich wie immer Marke Y möchte? Im zweiten Fall hätte der Köbes (Kellner:in im Kölner Brauhaus) ja merken können, dass ich mich mit den Kölner Gepflogenheiten nicht auskenne und mich warnen können. Oder hätte ich erst fragen sollen? Je nachdem wie der Köbes und ich persönlich drauf sind und wie empfänglich auch die Selbstoffenbarungs- und Beziehungsohren sind. Im letzten Fall sinkt meine Meinung von denen da oben weiter, weil ich denke, sie wollen mich nicht verstehen. Vielleicht bin ich persönlich auch so reif, um die Schwierigkeiten solcher Kommunikationswege zu reflektieren. Oder es besteht eine ‚bloß nicht beschweren‘ Kultur und ich bekomme richtig Ärger.

Es ist also nicht so einfach, das, was man anderen vermitteln möchte, auch so zu sagen, dass es in Anbetracht der aktuellen Umstände sowie Struktur und Kultur auch so beim Empfänger ankommt. Dazu gehören auch die non- und paraverbalen Aspekte. 

Da ja wie im ersten Teil angesprochen, Kommunikation und damit auch Störungen zirkulär sind, wird es komplizierter, wenn Sender und Empfänger eine Vorgeschichte haben und nicht in einem Kommunikationsakt (z. B. wie im Restaurantbesuch oben) zum ersten Mal aufeinandertreffen. So kann auch die akute Störung eine lange Vorgeschichte haben, z. B. im Angestellten-Vorgesetzt-Verhältnis. Die Suche nach der Schuldfrage ist da wenig zielführend. Es ist kaum möglich auszumachen, wer nun irgendwann mal vermeintlich angefangen hat. Vermutlich gibt es auch niemanden. Es hat sich Stück für Stück ganz langsam eingeschlichen.

Die Kunst des Zuhörens

Apropos zirkulär: Es gibt einen Aspekt, den ich vor allem im Kontext von Organisationen für noch anfälliger für Störungen halte, als die Frage, wie ich eine Nachricht richtig vermittle. Und zwar die Kunst des Zuhörens. Denn auch das Zuhören ist – wie oft fälschlicherweise angenommen – kein passives Auf-sich-einwirken-lassen. Allein durch die Interpretation der gesendeten Signale wird der Empfänger aktiv – und sendet dann selber eine Nachricht als Reaktion, möglicherweise auf Basis eines nicht richtigen Zuhörens. Es geht in der Kommunikation ja um das gegenseitige Verstehen (was ist gemeint) und auch um Verständnis (es für grundsätzlich möglich und menschlich halten, dass jemand in gewissen Situationen so fühlt/denkt/handelt), ohne mit dem zwangsweise einverstanden zu sein2. Hören wir nicht angemessen zu, kann da einiges schief gehen. Typische Störaktivitäten seitens der Zuhörer sind3:
  • Vergleichen: Sich mit der anderen Person vergleichen und nicht richtig zuhören
  • Gedankenlesen: Versuchen herauszufinden, was der andere ‚wirklich‘ denkt
  • Proben: Bereits die eigene Antwort mental proben
  • Herausfiltern: Bestimmte Aspekte des gesagten ‚ausblenden‘
  • Beurteilen: Nicht zuhören, weil man jemanden aufgrund bestimmter Merkmale (vor-)verurteilt
  • Träumen: gedanklich vom Thema abschweifen
  • Identifizieren: Gesagte in eigene Gefühle und Erfahrungen übersetzen und diese zurückspielen, statt auf das gesagte einzugehen
  • Ratschläge geben statt aufmerksam und empathisch zuzuhören
  • Sparring: Argumentieren und Debattieren um etwas zu beweisen oder das Gesagte abtun
  • Recht haben: Mit dem eigenen Rechthaben beschäftigt, statt gut zuzuhören
  • Abschweifen: Plötzlich zu einem anderen Thema wechseln oder einen Witz machen, um zu signalisieren, man sei nicht interessiert
  • Beschwichtigen: Damit beschäftigt sein, nett zu sein und den anderen nicht aufzuregen, um ihn glücklich zu stimmen, statt richtig zuzuhören

Es kennt sicher jeder aus Polit-Talk-Shows, wenn wir uns wundern, dass Teilnehmer A nicht wirklich auf das Gesagte von Teilnehmer B eingeht, sondern eher Sparring und Rechthaberei betreibt. Mit Antworten, die sie währen der Aussage des anderen vermutlich innerlich geprobt haben. Ich würde der Liste noch hinzufügen:
  • Wir sind nicht sensibel gegenüber der Kommunikationssituation, in der wir uns gerade befinden.
  • Wir nehmen eine Seite der Nachricht, insbesondere die Beziehungsseite, verstärkt wahr und die anderen blenden wir eher aus.

Eine Übung

Als kleine, Übung gehen Sie doch mal eine oder zwei Unterhaltung oder Diskussion der jüngeren Vergangenheit durch und überlegen, welche dieser Störaktivitäten bei Ihnen vorkamen. Oder gab es noch andere Dinge, die Sie vom Zuhören abhielten? An dieser Stelle würde ich davon abraten, die Störaktivitäten des Gesprächspartners oder der Gesprächspartnerin zu ‚analysieren‘, da wir a) zunächst vor unserer eigenen Haustür kehren sollten und b) viele dieser Störaktivitäten nicht direkt sichtbar sind. Dann fangen wir an zu raten und zu fantasieren. Das ist dann auch eine Form der oben genannten Aktivität des ‚Gedankenlesens‘.

Versuchen Sie dann beim nächsten Mal, wenn Sie sich unterhalten oder diskutieren, dem mit aktivem Zuhören entgegenzuwirken. „Sich dem Gesprächspartner aufmerksam und einfühlsam zuwenden“4: Nehmen Sie Ihre eigene Sichtweise zurück. Wenn der oder die andere an der Reihe ist, ist deren Sichtweise gerade wichtig. Geben sie Gesagtes in Ihren eigenen Worten zurück, beispielsweise um sich zu versichern, ob Sie es verstanden haben und ob es das ist, was der Sender meint. Stellen Sie Fragen, statt vorschnell Urteile zu fällen. Versuchen Sie auch Verständnis zu zeigen (noch mal: Das heißt nicht, dass Sie auch einverstanden sein müssen!). Nutzen Sie dabei vorwiegend Ich-Aussagen (z. B.: „Diese Aussage verstehe ich nicht“) statt Du-Aussagen (z. B. „Du drückst dich unverständlich aus“). Seien Sie sich dabei der Umstände bewusst, in dem die Unterhaltung stattfindet.

Um sich der Situations- und Kontextabhängigkeit von erfolgreicher, effektiver Kommunikation anzunähern, bauen wir auf dem bisherigen Fundament mit einem kleinen Praxistool im nächsten Teil auf.


Viel Spaß beim Zuhören und Kommunizieren!

Literatur

1. Rommerskirchen, J. Soziologie & Kommunikation: Theorien und Paradigmen von der Antike bis zur Gegenwart. (Springer, 2017, S. 119).

2. Pörsken, B. & Schulz von Thun, F. Die Kunst des Miteinander-Redens. Über den Dialog in Gesellschaft und Politik. (Hanser, 2020, S. 98).

3. Thompson, N. Effective Communication: A Guide for the People Professions. (Macmillan International higher education, 2018, S. 103-105).

4. Rosner, S. & Winheller, A. Gelingende Kommunikation – revisited. Ein Leitfaden für partnerorientierte Gesprächsführung, professionelle Verhandlungsführung und lösungsfokussierte Konfliktbearbeitung. (Rainer Hampp, 2019, S. 42).

Ein Gedanke zu „Kommunikationsstörungen“

  1. Pingback: Effektive Kommunikation - Dr. Daniel Lachmann Organisationsberatung

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