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Ukemi – die Kunst des Fallens

Beherzt zuzugreifen ist im Judo essenziell. Wie sich das auf die Arbeit in Organisationen übertragen lässt, habe ich hier gezeigt. Zu den weiteren grundlegenden Fertigkeiten, die man im Judo erlernen muss, gehört das Fallen (Jap.: Ukemi). Können wir im Judotraining oder im Wettkampf nicht sicher fallen, steigt das Verletzungsrisiko. Das gilt übrigens auch für den Alltag. Das schließt an das Prinzip optimaler Nutzung von Energie (Seiryoku-Zenyo) an, denn durch gekonntes Fallen übertragen wir die wirkende Kraft zu einem Teil auf den Boden. Doch hinter dem Fallen steckt noch viel mehr als ‚bloße‘ Verletzungsprophylaxe.

Fallen und wieder aufstehen

Gerade im Randori (vereinfacht: Übungskampf) und im Shiai (Wettkampf) passiert es immer wieder, dass wir entgegen aller Bemühungen geworfen werden und fallen. Doch was machen wir? Wir stehen immer gleich wieder auf.

Dabei geht es nicht nur um den motorischen Prozess des Aufstehens, weil wir am Boden in einer ungünstigen Situation sind. Auch übertragen aufs Scheitern oder Fehler machen und daraus lernen, findet das Prinzip Anwendung. Wir lernen also nicht nur verletzungsfrei zu Boden zu gehen und uns dann wieder zu erheben. Es ist im Judo das Normalste, auch gleich weiterzumachen, es erneut zu versuchen und sich nicht durch den Fall unterkriegen zu lassen.

Dadurch, dass wir als Judoka sehr oft fallen, gehört es auch dazu, aus diesen Fehlern zu lernen und ggf. zu erkennen, „dieser Gegner ist zu stark, das muss ich mir etwas überlegen“. Mit einer solchen Judo-Strategie können wir auch größere und stärkere Kontrahenten bezwingen (Yoffie und Cusumano 1999).

Wie oft habe ich es zudem erlebt, dass – basierend auf dem Prinzip der wechselseitigen Weiterentwicklung und gegenseitiger Unterstützung (Jita-Kyoei) – derjenige, der mich im Training geworfen hat, mir auch gleich einen Tipp gegeben hat, was ich hätte anders machen können oder wo der Fehler lag. Auch für mich war es das Normalste, das zu tun.

Fallen und in eine sichere Position wieder aufstehen

Nachdem wir wieder aufgestanden sind, haben wir eigentlich immer die Möglichkeit kurz durchzuatmen und aus einer sicheren Position weiterzumachen, neu zuzugreifen und neu anzusetzen. Gerade nach einem verlorenen Wettkampf, ist dieses Durchatmen auch die Phase bis zum nächsten Training, denn der Wettkampf ist ja erst einmal vorbei. So können wir neuen Mutes und mit anderen Griffen und Ansätzen weitermachen. Meistens ist es nicht zielführend, sich „blind“ wieder auf die Herausforderung zu stürzen.

Fallen und jemanden finden, der einem aufhilft

Ist der Fall (physisch oder mental) doch mal härter und erschütternder, als üblich, gibt es immer wen, der einem wieder aufhilft. Oft Gegner/-in oder Partner/-in, der/die einen gerade geworfen hat. Aber auch andere Trainingskammeraden/-innen oder die Trainer/-innen. Zudem ‚lernen‘ wir im Training mittels Kata (üben in vorgegebenen Situationen) und Randori (dem freien, kämpfenden Üben), dass Hilfe und Unterstützung annehmen nichts Schlechtes oder gar Zeichen von Schwäche sind. Es zeigt, vor allem, dass wir alle Menschen sind und als soziale Wesen aufeinander angewiesen sind.

Können wir fallen, trauen wir uns mehr, weil…

a) …der Fall weniger schmerzt

b) …wir ohne große Verzögerung wieder aufstehen können

c) …wir daraus, was uns zu Fall gebracht hat, lernen

d) …wir uns nicht scheuen, nach Unterstützung zu fragen, wenn nötig

e) …wir danach weitermachen.

Es geht also – übertragen auf die Welt von Teams und Organisationen – um viel mehr als nur um aus Fehlern zu lernen. Haben wir alle ‚Fallen‘ gelernt, gelernt damit umzugehen, wenn wir gefallen sind und auch, wie wir mit dem ‚Fall‘ eines oder einer Anderen umgehen, dann machen wir einen großen Schritt. Und zwar für die persönliche, die Team- oder die Entwicklung der Organisation. Damit verbessern wir nicht nur das Arbeitsleben der Menschen, sondern erhöhen auch die Leistungsfähigkeit von Mannschaft, Team, Abteilung oder der Organisation.

Die Fertigkeit zu fallen, also einen heftigen Einschlag auf dem Boden zu vermeiden und die Energie zu kontrollieren, erleichtert und ermöglicht schnelleres und intensiveres Lernen (Agúndez 2020, S. 128). Es geht also um eine echte Lernkultur und nicht „bloß“ um Fehlerkultur.

Was bedeutet es im Rahmen eines Teams oder einer Organisation zu fallen?

Selten ist damit das physikalische Fallen gemeint. Auch wenn ich denke, dass jede/-r auch das physikalisch Fallen (z.B. im Rahmen eines echten Judotrainings oder im Judo-Leadership-Coaching) erfahren haben sollte. Das körperliche und emotionale  Erleben dieser Prinzipien hilft ungemein beim Verständnis und der Verinnerlichung.

Im Team könnten es das Einbringen von Ideen sein, die nicht umsetzbar sind, wenig bringen oder – aus welchem Grund auch immer – von den Anderen abgelehnt werden. Dazu gehört auch, wenn sich in einer hitzigen Diskussion (Randori), die Idee eines oder einer Anderen durchsetzt, wenn wir uns eingestehen müssen, es gab bessere Vorschläge. Es könnten auch das Treffen von Entscheidungen sein, die ihr Ziel nicht erreichen oder sogar Schaden anrichten, dazugehören. Oder eine Investition, die sich nicht rentiert hat. Eine Aufgabe nicht richtig zu erledigen oder auch einen Termin zu vergessen, sind auch Formen des Fallens.

Was gehört bei euch noch dazu?

Wie geht ihr damit um?

Wie sehen die Konsequenzen aus, wenn jemand fällt?

Wie (wenn überhaupt) wird der oder die Gefallene unterstützt?

Was wird als Individuum, Team oder Organisation daraus gelernt?

Was tut ihr, damit aus Diskussionen, in denen sich Einzelkämpfer durchsetzen wollen, eine Diskussion wird, in der das gemeinsame Weiterkommen und nicht das individuelle Siegen im Vordergrund steht?

Möchtet ihr das Thema vertiefen? Schreibt mir eine WhatsApp, einen E-Mail oder bucht gleich einen unverbindlichen Beratungstermin in Calendy:

Literatur

Agúndez, Ferran. 2020. Judo Management. judomanagement.

Yoffie, David B., und Michael A. Cusumano. 1999. Judo Strategy. The Competitive Dynamics of Internet Time. Harvard Business Review 70–81.

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